
Regisseur Toni Schmid weiß was er tut, überrascht auch, leider nicht so oft, wie er könnte. Foto: © Wilfried Hoesl
Nicht ganz großes Kino
Die Resolute mit himmelblauen Barett, die jetzt endlich ihre Kinokarte haben will. Die Höfliche, die am Rand sitzen möchte und deshalb wartet, ob noch jemand in ihre Reihe einbiegt. Die Kleine Muntere, die gespannt im Sessel auf den Beginn wartet.
Es sind in erster Linie die Groß-, manche vielleicht sogar schon die Urgroßeltern der Digital Natives, die an diesem Donnerstag um 18 Uhr den zweiten Kinosaal des Neuen Rex in Laim im Münchner Westen den Dokumentarfilm GANZ GROSSE OPER von Toni Schmid sehen wollen. Fairerweise muss man sagen, dass der Film bereits in der neunten Woche im liebenswerten Nachbarschaftskino läuft und ihn jüngere Musik- und Opernfreunde möglicherweise längst gesehen haben. Auf jeden Fall regiert hier an jenem frühen Werktagabend der graue Euro – eine Beobachtung, die sich mit der von Thomas Wilhelm deckt, dem Kinobetreiber des NEUEN REX, dass sein Stammpublikum der 60-, 70-, 80-Jährigen begeistert in die Oper und hierfür ins Kino gehen.
In der Tat: Oper auf der Leinwand funktioniert und ist eine längst erschlossene Quelle für die Kinos. Doch funktioniert auch dieser Dokumentarfilm über sie? Überwiegend ja. In kurzen Statements kommen nicht nur die prominenten Sänger, Dirigenten und Entscheider zu Wort, sondern auch jene, von denen man als Kind vielleicht geglaubt hat, sie seien stumm und ließen deshalb ihre Instrumente sprechen. Gerade die Musiker haben viel Bedeutsames zu sagen, genau wie die Menschen hinter den Kulissen, ohne deren Fleiß und Fachkenntnis kein Opernbetrieb laufen würde.
Insbesondere ist die Schnittarbeit von Carmen Kirchweger zu würdigen, immer wieder fügt sie Probe- und Aufführungsmomente exakt aneinander zur perfekten Bildkomposition. Zusammen mit jeweiligen Aufnahmen der Kamera von Roland Wagner, H.P. Fischer, Ralf Richter, Anna Crotti, die die Künstler während des Einstudierens und Arbeitens am jeweiligen Stück detailliert beobachten, erwachsen aus dem Gesehenen neue Fragen für den Zuschauer: Gibt es tatsächlich den Prozess der Transformation, einen Punkt, wo die Übung für den Künstler aufhört und das Spiel anfängt? Ändert sich beim geöffnetem Vorhang nur die Haltung oder ist das offizielle Zeigen jedes Mal Neuland, für das die Proben stets nur Rüstzeug sein können?
„Vorhang auf für eine Liebeserklärung“ so der Untertitel von GANZ GROSSE OPER. Und das ist der Film zweifelsohne auch. Was die Auswahl der Befragten und die Schwerpunktsetzung angeht, wirkt er, bei allem guten Willen, doch mitunter etwas unausgewogen, gleichzeitig allzu konform und schematisch. So wird auf nicht sehr originelle Weise auch die Sparte Ballett behandelt, zum x-ten Male hören wir da, wie hart das Leben als Tänzer ist und erleben die bedrückende Atmosphäre bei den Proben im Studio. Intendant Nikolaus Bachler beispielsweise wird viel Raum für Bonmots gewährt, den interessanten wie den abgegriffenen; auf Statements zumindest eines Opernregisseurs oder Dramaturgen wartet man indes vergebens. Ob sich durch die GANZ GROSSE OPER letztendlich neue, jüngere Zuhörer- und Anhängerschaften erschließen lassen, ist doch recht fraglich. Wer aber für die Kunstform offen ist, sichert sich nach dem Film vielleicht ein Abo für die kommende Spielzeit.
Und wenn am Ende die alte Dame neben einem mit leuchtenden Augen fragt: „War das nicht ein schönes Erlebnis?“ bleibt einem, trotz einiger Vorbehalte, eigentlich doch nur ein Lächeln.